Der Genozid an den Jesiden
Regina Heidecke im Gespräch mit Ronya Othmann

Dem Genozid an den Jesiden widmet Ronya Othmann ihren Roman „Vierundsiebzig“ und umkreist den schwer zugänglichen Stoff mit ganz verschiedenen Mitteln: mit der Form der Erzählung, der Reportage, eines Reiseberichts, des Essays und in Gesprächen. Gleichzeitig reflektiert sie im Schreiben den Vorgang des Erzählens. Für den kürzeren Text „Vierundsiebzig“ erhielt sie bereits 2019 den Publikumspreis im Rahmen der "Tage für deutschsprachige Literatur" in Klagenfurt. 1993 wurde Ronya Othmann in München geboren. Sie ist Tochter eines staatenlosen jesidischen Kurden, der aus Syrien nach Deutschland floh, und einer deutschen Mutter. Die Schriftstellerin ist am Sonntag, 16. November, ab 17 Uhr zu Gast bei der Journalistin Regina Heidecke in der Veranstaltungsreihe „Reginas Gäste“ in der Neuen Stadthalle Langen.
Das Schicksal der Jesiden und Kurden ist ein zentrales Thema der vielfach ausgezeichneten Autorin Ronya Othmann. In ihrer Kindheit und Jugend fuhr sie in den Ferien oft in ein syrisch-kurdisches Dorf zur Familie ihres Vaters. Darüber schrieb sie in ihrem Debütroman „Die Sommer“. Diese Reisen haben ihr ein lebendiges Gefühl für die Heimat und Kultur ihres Vaters vermittelt, die seitdem auch zu einem Teil ihrer eigenen Identität geworden ist.
Die Zahl Vierundsiebzig bezieht sich auf den – nach jesidischer Zählweise – 74. Versuch, ihr Volk auszulöschen. Das Massaker der IS-Terroristen an den Jesiden im nordirakischen Sindschar 2014, die Vertreibung tausender Menschen aus ihrer Heimat und die massenhafte Entführung junger Frauen ging damals um die Welt. Die Vereinten Nationen und das Europäische Parlament nannten es später Völkermord. 2018 reiste die Autorin als unerschrockene Beobachterin an die Tatorte, um ihren Roman zu schreiben. Ein „Meilenstein der literarischen Genozidforschung“ oder „bedeutsamer war autobiografisches Schreiben hierzulande lange nicht mehr“, so rühmten Kritiker das Buch.
Wie spricht man, wie erzählt man, wie bringt man in eine literarische Form, was unsagbar ist? In ihren Reflexionen und Kolumnen hat Ronya Othmann durchaus auch Kontroversen ausgelöst. Etwa 2024, als die Einladung zum Literaturfestival im pakistanischen Karachi zurückgezogen wurde, weil ihr Islamophobie und Zionismus vorgeworfen wurden. Sie befand sich bereits im Land. Ein Schriftstellerkollege zog daraufhin seine Teilnahme am Festival zurück und schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „Ronya Othmann ist von Feministinnen und Islamisten, die sich für links hielten und die Hamas als ,Befreiungsorganisation‘ bezeichneten, gecancelt und in reale Gefahr gebracht worden.“
Gerade eben ist Ronya Othmanns Reisereportage „Rückkehr nach Syrien – Eine Reise durch ein ungewisses Land“ erschienen. Wieder eine Reise, auf der sie ihr Vater begleitet hat, in das Land, aus dem er 1980 geflohen ist. Die Ungewissheit nach dem Sturz Assads ist groß, auch vor dem Hintergrund von Abschiebungen und der Angst von rückkehrwilligen Syrern, die nicht wissen, wie ihre Zukunft aussehen wird. Auch darüber wird Ronya Othmann am 16. November in der Stadthalle Langen mit Regina Heidecke sprechen.
Regina Heidecke hat in Frankfurt Soziologie, Germanistik und Philosophie studiert, war ab 1978 Redakteurin der Kulturredaktion beim Hessischen Rundfunk sowie von 2001 bis 2014 Schlussredakteurin der Sendung Kulturzeit bei 3sat. Als Filmemacherin realisierte sie für den Hessischen Rundfunk, arte und 3sat Features und Porträts in den Bereichen Theater, Tanz und Ballett, aber auch Magazinbeiträge zu gesellschaftlichen und politischen Themen sowie Reisefilme. Daneben war sie viele Jahre als Ballettkritikerin für hr2 tätig. Als Redakteurin bei Kulturzeit hat sie sich vermehrt den Themen Politik, Bildung, kritischer Journalismus sowie Fragenstellungen zum Islam und dem Nahen Osten zugewendet. Ganz besonders am Herzen lag ihr die Ausbildung und Betreuung von jungen Journalisten und Filmemachern aus Ländern wie dem Irak, Tunesien, Pakistan und Afghanistan in Kooperation mit dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa). In Workshops hat sie mit dem Goethe-Institut in Syrien, mit dem Institute for War and Peace Reporting (IWPR) im Nordirak sowie dem Senior Expert Service (SES) in Indonesien zusammengearbeitet. Seit 2015 ist Regina Heidecke freie Journalistin.
Der Eintritt kostet 9,80 Euro. Karten im Vorverkauf gibt es unter www.neue-stadthalle-langen.de (Tickethotline 06103 203-455), in Langen im Reisebüro Mister Travel (Westendstraße 2, Telefon 06103 25021) und im Buchladen am Lutherplatz (Telefon 06103 28717) sowie bundesweit in allen Vorverkaufsstellen von AD Ticket (www.adticket.de, Tickethotline 0180 6050400).